„The White Crow“: Das Leben des Rudolf Nurejew – Filmstart & Trailer - WELT (2025)

Rudolf Nurejew brachte das 20. Jahrhundert zum Tanzen. Er entkam dem Kommunismus, dem Kalten Krieg und der klassischen Männlichkeit. Nun kommt seine Geschichte ins Kino.

Anzeige

Da liegen sie also nebeneinander im Pariser Hotelzimmer. Der ukrainische Tänzer Sergei Polunin, den viele heute für einen neuen Rudolf Nurejew halten. Und Oleg Ivenko, ebenfalls Ukrainer, aber noch unbekannt, der im Film „White Crow“ von Ralph Fiennes ebenjenen 1938 in einem fahrenden Zug geborenen Rudolf Nurejew verkörpert.

Nurejew, Rudolf. Rudik genannt. Schon der Name atmet Rhythmus und Poesie, er klingt nach Kaltem Krieg, nach Grenzüberschreitung im wahrsten Sinne, nach absolutem Künstlertum, nach Unbedingtheit, Sinnlichkeit und Glanz. Neben Elvis und Maria Callas wurde dieser 23-Jährige die popkulturelle Sensation der frühen Sechzigerjahre. Ein Künstler, größer als das Leben, eine männliche Diva.

Anzeige

Sechs Schritte hatten ihn in die Freiheit geführt, die ein Flug ins Offene, später auch ins Verlorene wurden. Als Rudolf Harmetowitsch Nurejew, der gerade beim ersten Westgastspiel seit dem Krieg zur Sensation von Paris gewordene Solist des Kirow-Balletts, am 16. Juni 1961 im Flughafen Le Bourget seinen KGB-Bewachern davonlief und bei französischen Polizeibeamten um politisches Asyl bat, war das ein kleiner Schritt von großer Bedeutung.

Lesen Sie auch

  • „The White Crow“: Das Leben des Rudolf Nurejew – Filmstart & Trailer - WELT (1)

    Sergej Polunin

    Er liebt Putin, hasst Schwule – und tanzt an der Münchner Staatsoper

Für ihn selbst, weil sich für den ungeduldigen Tataren, der so symbolhaft unbehaust in einem Fahrzeug in diese Welt geholt worden war, schlagartig sein Leben änderte. Der Ballerino-Rebell der in eisenhartem Sowjetdrill verharrenden Leningrader Elitetanztruppe mutierte zu einem der meistverehrten männlichen Stars der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mehr noch als Vaslav Nijinsky, der 50 Jahre vorher, aus der gleichen Tanztruppe kommend, mit den Ballets Russes den Westen und die Welt als in der Luft schwebendes Wunder erobert hatte, verkörperte Nurejew den reinen Tanz. Und tut es heute noch – wie „White Crow“, die Filmbiografie, beweist und vor ihr unzählige Dokumentarfilme, Biografien und Bildbände bewiesen haben.

Anzeige

„Ballet is woman“, hat George Balanchine gesagt, auch Russe, in Amerika weltberühmt geworden als bedeutendster Choreograf des 20. Jahrhunderts. Nurejew aber hat gezeigt, dass Ballett auch der Mann ist, so wie es das schon unter dem tanzenden König Ludwig XIV. im 17. Jahrhundert in Paris war, als die Kunstform ihre allererste Blüte erlebt hatte. Mehr noch: Nurejew war und ist Ballett, bis heute, schwerelos und anmutig, kraftvoll und mitreißend. Einige männliche Stars sind ihm gefolgt. Der letzte mag Sergei Polunin sein, der sich nun im Film mit einer Nebenrolle für die Eingeweihten begnügen muss. Angesichts von Nurejews auch 26 Jahre nach seinem frühen Tod nachwirkender Magie, seiner unvergleichlichen Mischung aus Schönheit, Sturheit, Androgynität, Willenskraft und Talent, verblasst der Jüngere als von Drogen und Tattoos fehlgeleitetes Bündel von überschaubarer Begabung und begrenzter Strahlkraft.

„The White Crow“

„The White Crow“: Das Leben des Rudolf Nurejew – Filmstart & Trailer - WELT (2)

Nurejew verwirrte und begeisterte nicht nur die Massen mit seiner raubkatzenartigen Ausstrahlung, seinem Können und seiner selbstbewussten Unverschämtheit. Auch für die Politik war seine Flucht auf dem Flughafen, kurz vor dem Bau der Berliner Mauer, ein bemerkenswertes Datum: Hier hatte, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, ein aufmüpfiger Künstler das Undenkbare gewagt und sich schlagzeilenträchtig aus dem kommunistischen Machtraum abgesetzt. Bis heute halten sich die Gerüchte von Mordplänen des KGB oder zumindest vom geplanten Zertrümmern seiner kostbaren Beine.

Lesen Sie auch

  • „The White Crow“: Das Leben des Rudolf Nurejew – Filmstart & Trailer - WELT (3)

    Ressort:GeldAktienhandel

    Aktien für Anfänger einfach erklärt – Tipps für den Vermögensaufbau

Vor allem aber war seine Flucht für die Ballettwelt befreiend. Nurejew, der störrische Außenseiter, in Russland die „weiße Krähe“ genannt, beraubte Kraft seiner animalischen Erotik den Mann seiner künstlerischen Fesseln. Er verhalf dem Tänzer in seinen stilistisch wie gesellschaftlich wegweisenden Neufassungen der zaristischen Ballettklassiker zu einer vorher nie gekannten Rolle als gleichwertiger, ja die Ballerina noch überstrahlender Partner – und nicht nur als hölzerner Hebehelfer.

Es war auch ein soziologischer Fortschritt: Er bot das Bild eines Mannes, der athletisch war, aber auch ein flamboyanter Feuervogel. Ein absoluter Herrscher, der sich alles herausnahm und trotzdem passiv und verletzlich sein konnte. Er war einer, der sich nie schonte und selbst im körperlichen Niedergang ein Idol blieb. Der als Choreograf, Schauspieler, Ballettdirektor, Musicaldarsteller, selbst noch als Dirigent immer neue Facetten offenbarte, der sich seine feminine, damals schon unbekümmert schwule Seite gestattete, schon vor dem ihn verehrenden Mick Jagger. Nurejew war der einzige Mann, den Richard Avedon als Akt fotografierte. Frauen wie Männer waren ihm zugetan. Ralph Fiennes, als Regisseur und Darsteller des Nurejew-Lehrers Alexander Puschkin, zeigt das, wenn dessen Frau Ksenija sich Nurejew mit den Worten hingibt: „Das musste so kommen.“ Was der Jüngling so gleichmütig wie neugierig akzeptiert.

Lesen Sie auch

  • „The White Crow“: Das Leben des Rudolf Nurejew – Filmstart & Trailer - WELT (4)

    Ressort:Bühne und KonzertBolschoi Theater

    Die besondere Härte der russischen Ballettschule

Nurejew wurde durch seine sechs Fluchtschritte zum Mythos. Als „Rimbaud der Steppen“ aus dem Nichts eines Riesenreiches gekommen, als Sohn eines nur schwer seine Gefühle offenbarenden Politoffiziers und einer Mutter, die zeitlebens nur Arabisch sprach und schrieb und die er erst kurz vor ihrem Tod im Tauwetter der Perestroika wiedersehen durfte. In Armut in Ufa unter kulturfernsten Umständen aufgewachsen, wurde er getrieben von dem unbändigen Willen zu tanzen, seinem unvollkommenen Körper mit den zu kurzen Beinen und der nie makellosen Technik das Höchste abzufordern. Und das fast bis zum Schluss, dem stolz ertragenen und erst am Ende als Folge von Aids offenbarten Tod am 6. Januar 1993.

Ein Popstar, eine Legende, unbehaust trotz der herrschaftlichen Wohnung in Paris und eines österreichischen Passes. Immer auf der Flucht, als Person vielfach übermalt, überschrieben und ins Märchenhafte verklärt. Von ihm selbst und von seinen Biografen, die noch das intimste Detail ans Licht holten. Und doch bleibt Nurejew als Phänomen, als rücksichtsloser Narziss und kompromissloser Künstler unerklärbar. Sein Leben war ein Tanz. So ungezügelt er auf der Bühne war, so zelebrierte er im Ballettsaal das tägliche Training wie einen Gottesdienst. Die Beziehung zu seinem ersten Liebhaber, dem Ostdeutschen Teja Kremke, ließ in ihm erste Fluchtgedanken reifen. Die Flucht selbst in Le Bourget allerdings geschah spontan, weil der KGB den undisziplinierten Star nach Moskau zurückbeordert hatte.

Als klassischer Balletttänzer eigentlich nicht massentauglich, wurde Rudolf Nurejew, das schöne, wilde Tier, zum tanzenden Objekt vieler Begierden. Mit der um Jahre älteren Margot Fonteyn, dem Stern des britischen Balletts, die er im zweiten Bühnenfrühling blühen ließ, verband ihn eine Jahrzehnte währende künstlerische Partnerschaft; mit seiner großen Liebe, dem dänischen Tänzer Erik Bruhn, blieb sie ihm versagt. Man kommt Rudolf Nurejew, über den man alles zu wissen glaubt, kaum nahe, auch nicht in der doch zu harmlosen Gestalt Oleg Ivenkos in „White Crow“.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

„The White Crow“: Das Leben des Rudolf Nurejew – Filmstart & Trailer - WELT (5)
„The White Crow“: Das Leben des Rudolf Nurejew – Filmstart & Trailer - WELT (2025)
Top Articles
Latest Posts
Recommended Articles
Article information

Author: Margart Wisoky

Last Updated:

Views: 6021

Rating: 4.8 / 5 (78 voted)

Reviews: 93% of readers found this page helpful

Author information

Name: Margart Wisoky

Birthday: 1993-05-13

Address: 2113 Abernathy Knoll, New Tamerafurt, CT 66893-2169

Phone: +25815234346805

Job: Central Developer

Hobby: Machining, Pottery, Rafting, Cosplaying, Jogging, Taekwondo, Scouting

Introduction: My name is Margart Wisoky, I am a gorgeous, shiny, successful, beautiful, adventurous, excited, pleasant person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.